Gibt es eine bestimmte (Mal-)Sprache in der Kunstrichtung Malerei,

 

abgesehen von auf den ersten Blick unbedingt regelabhängigen Malformen wie Comic, Fotorealismus, Graffiti etc., die man sprechen muss, um in einem Betrachter eine – innere oder äußere oder beides – Reaktion hervorzurufen?

 

Das muss die (ich gebe zu: rhetorische) Ausgangsfrage sein, wenn sich studierte und Hobby-MalerInnen darüber unterhalten, ob es „unverschämt“ sei, seine Arbeiten als Hobby-MalerIn der Öffentlichkeit zu zeigen und darüber hinaus noch den „gelernten Malern/Künstlern die Preise kaputt zu machen“.

 

‚Aha!’ dachte ich, als ich das von einer Hobby-Maler-Kollegin erzählt bekam, die sich das in einem Gespräch mit einer „Künstlerin mit Abschlusszeugnis“ – ich will es einmal so nennen – anhören musste, ‚aha, daher weht der Wind!’

 

Schade, dass ich nicht anwesend war; ich hätte sicher auch das eine oder andere dazu beitragen können. Angefangen hätte ich damit, dass mich doch sehr befremdete, dass die Künstlerin da zwei Sätze im selben Atemzug genannt hat, deren Aussagen sich, auf die Kunst bezogen und darauf, was diese kann oder im besten Falle soll, schlicht widersprechen: guckt man auf das, was die Kunst einem finanziell bringt, entfernt man sich vom Kunst-Begriff, wie ich ihn verstehe, ohne auch nur einen „falschen“ Pinselstrich gemacht zu haben. Nun liegt der Hase dort aber im Pfeffer, denn genau das ist ja wohl das Argument der Angehörigen des etablierten Kunst-Begriffes: dass ich ihn eben nicht verstehe.

 

*

 

Hat jemand schon einmal das Experiment gemacht, einem Experten auf dem Gebiet der Kunst (denn ich spreche niemandem, der ein Fach studiert hat, sein Experten-Wissen ab) einmal ein Bild von einem beinahe etablierten, doch noch relativ unbekannten Künstler vorzulegen und daneben eines eines talentierten 14jährigen Schülers, das der ersten Arbeit in allem (meinetwegen zufällig) ziemlich gleicht, was Komposition, Farbwahl, falls ein „Motiv“ erkennbar ist auch durch Motivwahl, angeht? Und das, um Glückstreffer auszuschließen, gleich mehrmals hintereinander verschiedene Bilder, unter den oben genannten Voraussetzungen? Ich wäre gespannt auf das Ergebnis.

 

Denn ist es nicht so, dass trotz Kriterienkatalog und aufgrund (unterschiedlicher!) Kritikermeinungen (wie kann das eigentlich sein?) und unterschiedlicher Galeristenintentionen es kein Regelwerk gibt, das bestimmten Kreativen nur aufgrund ihrer Arbeiten ein Eintreten in den etablierten Kunstmarkt von vornherein versagte?

 

Ist es nicht so, dass zu Beginn des Kunst-Studiums man eine Mappe Beispielarbeiten zeigt und man dann daraufhin angenommen oder abgelehnt wird? Was ist mit den Abgelehnten? Sind sie zu schlecht, um etablierte Künstler werden zu können? Was ist, wenn einer dieser Abgelehnten an einer anderen Akademie angenommen wird? Haben sich die Professoren der erstgenannten Akademie vertan... oder die der zweiten? Wie kann Professor 2 es wagen, jemandem zumindest Talent zu bescheinigen, der von Professor 1 bereits als zu schlecht befunden wurde? Wer ist Professor 2 überhaupt? Wo kommt der her und vor allem: bei wem hat der studiert?

 

Dabei ist es unbenommen gut, dass eine Vorauswahl getroffen wird; zumindest ich kann mir das Ergebnis sonst bei der Flut der Interessenten nicht mehr wirklich vorstellen (zumindest, was den etablierten Markt angeht) – aber zeigt nicht schon das erste Beispiel aus der Realität, dass es schon im Anfang nicht eindeutig zugeht?

 

Und es geht auch so weiter mit den Mehrdeutigkeiten: ebenfalls aus der Realität und genauso aus erster Hand stammt das Beispiel, dass manche StudentInnen ihre ProfessorInnen kaum je zu Gesicht bekommen, und das nicht, weil sie selbst fehlten... und ich sage auch hier bewusst: manche. Aber es kommt eben vor. Der Professor ohne Lehrstuhl gibt Privatunterricht, und zwar einem ähnlich talentierten, passionierten Hobby-Maler. Beide sind immer da, jede Woche zwei Mal, für drei Stunden, fünf Jahre lang. Auch dieser Schüler, Student kann praktisch etwas lernen; vielleicht eignet er sich, weil er ja interessiert ist, Theoretisches außerhalb des Unterrichts an, oder der Professor berät ihn bei der Lektüre. Am Ende der fünf Jahre hat der Student jede Menge „Offizielles“ gelernt, bekommt das aber nicht genauso offiziell bescheinigt (was natürlich nachvollziehbar ist). Wenn dieser nun ein Bild malt und der eingeschriebene Universitäts-Student eines – sähe man in jedem Fall einen Unterschied, und würden Experten dem Uni-Studenten durchweg mehr künstlerische Leistung bescheinigen? Natürlich hört man heraus, was ich selbst glaube... aber den Platz bei dem Galeristen bekäme sicherlich eher der (dann „fertige“) Universitäts-Student.

 

*

 

Die – ich wiederhole es gerne noch einmal – echten Beispiele zeigen jetzt schon in diesen beiden Fällen, dass es zumindest nicht eindeutig zugeht im Kunstbetrieb, und es gibt auch noch weitere Beispiele, die das untermauerten. Ich kann bisher doch lediglich sagen, dass der etablierte Kunstmarkt - zumindest was die reinen Arbeiten angeht - nach (nicht eindeutigen) Regeln funktioniert, und dass man diesen gehorchen muss, um auch nach außen hin und unter anderen Künstlern als Künstler anerkannt zu werden.

 

*

 

Möchte ich in einer bestimmten Firma angenommen werden, dann informiere ich mich bestmöglich über sie und versuche im Vorstellungsgespräch zu überzeugen, und zwar immer im Hinblick auf mein besonders gutes „Passen“ in diese Firma und ihre Struktur. Jeder würde sagen: ja, natürlich! Aber im etablierten Kunstbetrieb wehren sich viele Studenten und „ausstudierte“ Künstler dagegen, dass es auch da genau so läuft. Stattdessen höre ich oft, dass wir Hobby-Leute uns erdreisteten, etwas können zu wollen, was wir schlicht nicht können können. Nach den Beispielen oben frage ich mich: weil wir keinen „Schein“ haben? Wie argumentiert der „echte Künstler“, falls der Hobby-Maler vielleicht tatsächlich etwas „kann“? Und wie und durch was wird denn dieses „Können“ definiert?? (Es spielt nämlich, soviel ich weiß, nicht nur der reine Kriterienkatalog eine Rolle.) Was geschieht, wenn er sich sogar in den Begriffen des etablierten Marktes mit dem „echten Künstler“ unterhalten kann? Denn das ist auch ein Punkt: man muss die gleiche (Verbal-)Sprache sprechen. Wieder etwas, das weg geht von den eigentlichen kreativen Arbeiten: die Definitionen müssen die gleichen sein, um überhaupt ernst genommen zu werden. Wohlgemerkt: die Definitionen, die um einen abstrakten Begriff kreisen, um das Wort, nicht dessen Inhalt, denn über den sind sich die Leute, auch die ausgewiesenen Experten, ja nicht einig...

 

*

 

Und was ist denn jetzt endlich mit den eigentlichen Arbeiten, um die es geht?

 

Auch ein Maler lernt erst mal zeichnen; auch der Hobby-Maler sollte das und die allermeisten, die eine Sache mit Leidenschaft tun, tun das immerhin. Übe ich Studien, dann sagt der Lehrer mir zu Recht ‚nach der und der Lehrmeinung bzw. Schule musst du das so und so machen; das ist richtig, das ist falsch; setz den Pinsel/Bleistift lieber so an’ – das ist einzusehen und klar, dass das „muss“. Aber in dem Moment, in dem ich mit dem bereits gelernten Handwerk ein Bild beginne – dafür lege ich übrigens meine Hand ins Feuer – kann das Betrachter-Auge nicht mehr unbedingt mein Handwerk dahinter erkennen – ich sage bewusst „nicht mehr unbedingt“. Große Teile der modernen, der abstrakten Kunst haben das zum Charaktermerkmal: den Punkt, dass Laienaugen (und ich behaupte eben: auch Studentenaugen; außer man kennt den Erschaffer) nicht erkennen können: ist das von einem talentierten 14jährigen Schüler oder von Künstler X, der gerade in der und der Galerie hängt. Daher kam doch das ‚Das kann ich auch!’ vieler teilweise entsetzter Kunst-Betrachter, die „Kunst“ bislang über „Können“ definiert hatten (das nach wie vor sichtbar ist und das sie selbst auf keinen Fall haben oder sich relativ rasch aneignen könnten), nicht über die Gedanken des Künstlers, die sich bei dem einen so und bei dem anderen eben anders zeigen.

 

*

 

Ich weiß, dass es Kataloge gibt, die die Richtlinien beschreiben, nach denen man Kunst bewertet; ich kann die Richtlinien „kennen“ für jedes einzelne Bild. Wenn das die geltenden Richtlinien wären, die Regeln, nach denen die Kunst auf dem etablierten Markt bewertet wird, dann wäre es o.k. . Jeder, der sich daran halten wollte und könnte, könnte sich daran halten und besäße, innerhalb dieses Systems, das Recht, sich unangefochten „Künstler“ nennen zu können. Ich weiß aber auch, dass Kunst immer auch auf diesem Markt neu definiert wurde, und dass da oft Verkaufsgeschick, Galeristenwollen und ~taktik und Kritikermacht und ~eitelkeit eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Es muss einen also da nicht wundern, wenn etwas, das gestern noch beschimpft wurde, heute beim Galeristen hängt. (Übrigens ebenfalls und nicht nur einmal in der Realität so geschehen.) Nicht, dass ich es nicht gut fände, dass immer mehr (im Sinne von Verschiedenes) beim Galeristen hängt; nicht verstehen kann ich lediglich die absolute Ablehnung davor.

 

So etwas kann ich nur ernst nehmen, wenn man diese Tatsachen aussprechen darf. Wenn der Markt zu diesem Vorgehen, das erwiesen und tatsächlich oft so abläuft (nicht immer; das sage ich ja auch nicht), steht. Solange der etablierte Markt das „darf“, weil er die Macht hat, und ich das nicht mal bei meinen eigenen Bildern „dürfte“ (zu ihnen stehen, obwohl ein Großteil der Betrachter dies und jenes daran nicht nachvollziehen kann, übrigens genauso wie bei der „großen Kunst“ möglich, die bereits in den Kunstkanon aufgenommen ist, genauso möglich!) --- solange kann ich davon nur etwas halten, solange es um die Arbeiten dort geht, die mich entweder ansprechen oder nicht, nicht aber um Werbestrategien.

 

Denn meines Erachtens müssen es nicht Verkaufsgeschick, Galeristentaktik und Kritikermacht sein, die etwas Neues, noch nie Dagewesenes in der Kunst pushen; es könnte um die Arbeit selbst gehen. Nur wäre der etablierte Markt, dieses gewachsene, ausgeklügelte System, dann natürlich in Gefahr. Es sei denn, es stünde zu dem, was es ist; nicht weniger, aber auch nicht mehr aus sich und den Dingen machend.

 

*

 

Es hat sich mit dem etablierten Kunstbetrieb eine Maschinerie mit eigenem Takt und eigenen Begriffen entwickelt, die sicher jeder als solche akzeptieren könnte. Wer dort „einsteigen“ möchte, muss sich selbstverständlich den ihr eigenen Regeln fügen. Dies und jenes ist dann dort Kunst, nach den Regeln, nach dem Kriterienkatalog des etablierten Kunstbetriebes. Wäre der Begriff konkret zu fassen, dann könnte eine Maschinerie wie diese hingehen und die Entgrenzung des Begriffes zu Recht verwerflich finden – aber selbst das auch nur dann, wenn die Entwicklung bis dahin ergeben hätte, dass dem etablierten Markt diese Definitionsgewalt obliegt.

 

„Kunst“ bleibt aber ein abstrakter Begriff, der manchmal sogar innerhalb, in jedem Falle aber außerhalb des etablierten Marktes von verschiedenen Personen unterschiedlich definiert wird und eben nicht konkret zu fassen ist. Und das, weil in der Kunst nicht nur Regeln „abgearbeitet“ werden, sondern innerhalb gewisser Regeln nämlich doch (fast) alles erlaubt ist und den einen dies anspricht und den anderen das. Und das, weil „ob etwas als Kunst empfunden wird“, immer mehr mit dem Bewerter zu tun hat als mit dem Bewerteten. Ich mache als Betrachter die Kunst oder Nicht-Kunst zu 50 % mit aus – es ist absolut vermessen, zu behaupten, dass das nur die Fachleute könnten. Was diese nur haben, womit sie den Amateuren voraus sind, ist lediglich ein angeeignetes Fachwissen, das beim Sehen, Fühlen und Interpretieren nicht immer unbedingt hilft. Welcher Kunst-Professor möchte mir sagen, welche Arbeit von wem den inneren Dialog in mir anstößt, welche dazu in der Lage ist und welche nicht...? Spricht man diese Frage aus, klingt es direkt lächerlich.

 

Es muss ja, denke ich, ein Unterschied sein, ob Experten sich über etwas unterhalten oder Laien sich mit Experten oder untereinander unterhalten, aber muss man nicht das, was Kunst für jeden einzelnen ist, von beidem, Expertenwissen und Laienmeinung, trennen, um diesem abstrakten Begriff gerecht zu werden? Muss man sie nicht völlig losgelöst von allem sehen, vor allem aber losgelöst von Märkten, auf denen die Kunst den Menschen auf eine allzu schnöde, weltliche Weise dient? Darf man sich überhaupt bei diesem Thema über irgendjemand anderen stellen mit seiner Ansicht, solange es nicht jedem gleich (im Sinne von eindeutig) klar ist, ob etwas Kunst ist oder nicht und trotzdem mit dieser so unterschiedlich empfundenen Sache Geld verdient werden kann?

 

*

 

Manchmal habe ich den Eindruck, dass Kreative, die sich mit mir in einem Boot fühlen müssten, die sich genau so weit entfernt vom etablierten Markt befinden wie ich, diesem zum Munde reden, vielleicht nach dem Motto ‚Verdirb es Dir nicht mit jemandem, den du vielleicht mal brauchst’ – eine Illusion. Die beiden Kunstmärkte, der etablierte und der alternative, werden sich nie auf diese Art vermischen. Zu Viele pflegen die Grenze mit. Zu viele der Alternativen schielen doch heimlich oder nicht so heimlich auf den größeren äußeren Erfolg. Zu viele der Etablierten sind zu intolerant, manche zu arrogant.

 

Und warum sollten sich die beiden Märkte auch vermischen? Wer auf den etablierten Kunstmarkt will, der muss Kunst studieren, mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat und mit der Chance, irgendwann als „echter Künstler“ die Option auf äußeren Erfolg zu haben. Ein Hobby-Maler, eine Hobby-Malerin sollte nicht knatschen, weil ihm/ihr niemals dieser äußere Erfolg beschieden sein wird. Aber jeder oder beinahe jeder hat doch diese Möglichkeit. Entscheidet man sich dagegen, wird das genauso gute Gründe haben, zu denen man lediglich stehen muss; das ist alles. Aber beide Menschen können Maler sein. Beide sollten ihrer Leidenschaft frönen dürfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Beide sollten ihre Arbeiten auch zeigen dürfen, wenn sie es denn wollen. Nur darf der Hobby-Künstler sich keine falschen Chancen ausrechnen, genau wie der studierte Künstler vielleicht nie wieder diese Freiheit empfinden wird... beides ist selbstgewählt! Die Chance, jemanden zu erreichen, jemanden zu berühren mit ihrer Arbeit haben auch beide. Das kann man nicht in dem Sinne studieren. Ihr Handwerk lernen müssen beide. Betrachteraugen sind frei, wenn es rein um den Kunstgenuss geht und keine andere Absicht dahintersteht. Sie werden schon entscheiden, was für sie Kunst ist, auch dafür, für was sie wieviel bezahlen. Hat davor jemand Angst?

 

Eines haben beide Märkte, der etablierte sowie der alternative, gemeinsam: es gibt keine bestimmte (Mal-)Sprache in der Kunstrichtung Malerei (abgesehen von regelabhängigen Malformen), die man sprechen muss, um in einem Betrachter eine Reaktion hervorzurufen. Und selbst diese Malformen, bei denen ich eine größere Abhängigkeit von Normen sehe und einsehe, entwickeln sich ja weiter... wer möchte sagen, wohin...?

 

Und ich möchte abschließend noch eine, vielleicht strittige These behaupten, die allerdings meine gewachsene und erlebte Meinung ist: nur um diesen Dialog mit dem Betrachter sollte es gehen. Um nichts anderes. Und wenn es nur darum geht, und niemand spricht einem Menschen ab, mit einem anderen in einen wie auch immer gearteten Dialog zu treten --- können sich dann nicht alle einfach „lassen“, ohne Ressentiments, ohne Vorhaltungen...? Die nächste Frage stellt sich: um was geht es eigentlich denen, die das nicht können?

 

Wer mit der Kunst offiziell Geld verdient, muss einsehen, dass er auch noch ein Ziel verfolgt hinter dem bereits erreichten, die Kunst zu erschaffen. Diese Tatsache muss in der Diskussion eine Rolle spielen dürfen, da es dieselbe Kunst ist, um die es geht. Der Begriff unterscheidet nicht zwischen der Absicht der Erschaffer, genauso wenig wie zwischen der Absicht der Beurteiler. Toleranz zwischen Kreativ-Schaffenden ist daher für mich die logische Schlussfolgerung und der einzig gangbare Weg, diesen wunderbaren Begriff und das, was er für jeden von uns individuell heißt, zu leben.

 

 Sabine Pint, März 2007

 

Zurück zur Startseite