Stichwort: Kunstvermittlung

 

Ich beziehe mich in diesem Text auf das Kunstvermittlungsformat „FAQ“, das nach einer Idee von Anja Bischoff im Rahmen einer Initiative der HFBK in Kooperation mit Deichtorhallen und Hamburger Kunsthalle mit dem Namen subvision.kunst.festival.off. 2009 in Hamburg stattfand.

Mein Text setzt sich zusammen aus kurzen und längeren Notizen, die ich mir bei der darauf bezogenen Lektüre „Kunstvermittlung als künstlerische Aufgabe?“ des team*partake, der Herausgeber, notiert hatte.

Vorsorglich weise ich darauf hin, dass sich im Grunde nur Menschen, die kunsttheoretisch interessiert sind, meinen Text antun sollten, aber auch nur bei diesen macht es, denke ich, Sinn, und da bedanke ich mich auf’s Herzlichste!

 

Ich möchte einen Absatz von Michael Lingner aus der Einführung zum Projektbericht hier als Einstieg nehmen:

„Gerade aufgrund ihrer Unverzichtbarkeit ist jede Kunstvermittlung allerdings so zu leisten, dass die eigene ästhetische Erfahrung des Kunstinteressierten nicht durch fremde begriffliche Erklärungen ersetzt wird. All das, was begrifflich überhaupt vermittelbar ist, darf nicht mehr als bloß ein Vorwissen bieten, das die zwar notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung ist, um eigene ästhetische Erfahrungen zu machen. Vom Kunstpublikum ist dann allerdings die Bereitschaft gefordert, mögliche Verständnisschwierigkeiten als gleichsam rudimentäres ästhetisches Erlebnis höher zu schätzen, als irgendein ihnen vermitteltes begriffliches Surrogat.“

In diesem Absatz bezieht er sich auf die Schwierigkeit der Kunstvermittlung infolge der Kunstentwicklung, „besonders angesichts experimenteller, alternativer und innovativer Kunstformen“, und ein paar Zeilen früher spricht er von sogar zwangsläufig erforderlicher „Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Kunstbegriff“.

Mit dem jeweiligen Kunstbegriff. Es gibt verschiedenen Anschauungen, aber ich bin ja auf der Suche danach, was Experten, Amateure und Laien, was die Menschen in Bezug auf „Kunst“ miteinander verbindet statt trennt und auf der Suche nach einem Begriff, den alle gebrauchen können, ohne dass er als eine Art Qualitätssiegel verstanden wird.

Obwohl es die oben angesprochenen verschiedenen Anschauungen von Publikum, Kritikern und Künstlern selbst gibt und das völlig unstrittig ist, hat sich der Begriff, das Wort „Kunst“ nicht als Dachbegriff für das alles durchgesetzt. Ich schwanke mittlerweile, ob ich das Wort demonstrativ verbannen oder es wacker weiter gebrauchen will, weil es sich – zumindest bis es ein Studienfach wurde – als Dachbegriff einfach angeboten hat. Es war ein gutes Wort…

Aufgrund dieser verschiedenen Anschauungen ist es so, dass Menschen, die Fragen zum Thema „Kunst“ haben, derart, wie die subvision-Führung, auf die ich gleich näher eingehen möchte, es zu beantworten helfen möchte, diese verschiedenen Anschauungen in sich tragen und sich auch noch alle anders ausdrücken im Gespräch… eine echte Herausforderung, und ich möchte diese Kunst-Führung beleuchten und fragen, ob ihre Grundidee da helfen kann.

Michael Lingner spricht von „möglichen Verständnisschwierigkeiten“. Das „Verständnis“ von kreativen Arbeiten, sofern es nicht die eigenen sind, wurde schon immer, immer mal wieder, überbewertet. Ich habe keine Chance, die Arbeit eines anderen (ohne dessen Hilfestellung) wirklich zu verstehen. Wenn man ein mögliches echtes Verstehen aber in Zweifel zieht, kann man auch die Herleitung in Zweifel ziehen.

Die Grundidee der „FAQ“-Führung ist, an ausgesuchten Ausstellungsobjekten „die Kommunikation zwischen Kunstwerk und Betrachter durch das gemeinsame Formulieren von Fragen“ anzuregen. „Dabei wird davon ausgegangen, dass das Werk erst im Wechselspiel der Eigenheiten einer Arbeit, seiner äußeren Präsentation im Ausstellungskontext, der Perspektive des jeweiligen Betrachters und des vermittelnden Kommentars als solches sichtbar und existent wird.“

Welche Einschränkung! Dass das Wechselspiel zwischen kreativer Arbeit und Betrachter für eine im weitesten Sinne „künstlerische Erfahrung“ vonnöten ist, ist ja unstrittig, aber was geschähe, wenn eine Komponente, z. B. der „vermittelnde Kommentar“ fehlt? Oder Arbeit und Rezipient in einem anderen Zusammenhang aufeinander träfen? Das gibt es zwar, dass eine kreative Arbeit nur für einen bestimmten Ort konzipiert ist und nur dadurch wirkt, aber das gehörte ja dann quasi zum Objekt. Was ist mit den Arbeiten, die nicht so konzipiert sind? Und wozu soll das gruppen-Gemeinschaftliche gut sein? Soll man sich einigen? Soll man darüber streiten? Der Austausch der Gruppe bringt die Gruppenmitglieder zueinander; der Austausch zwischen der kreativen Arbeit und jedem einzelnen Mitglied bleibt ein individueller.

Im Eingangstext zur Führung formuliert die Ideengeberin so: „Kann heute eigentlich alles Mögliche Kunst sein? Was bedeutet dieser Begriff dann noch? Wozu überhaupt Kunst? Und was bringt sie mir? Fragen über Fragen…“ Sie definiert nichts, und sie benutzt „Kunst“ als Dachbegriff! Ja: was denn nun?

Ich habe dieses Festival 2009 nicht besucht, aber ich gehe jede Wette ein, dass diese „volksnahe“ Art der Fragestellung und die Erkenntnisse im weiteren Verlauf der Führung alle Beteiligten so schlau machten, wie sie davor schon waren, wenn man davon ausgeht, dass sowieso bereits Kunstinteressierte diese besuchten. Als ich das las, fühlte ich mich an die Lektüre Saehrendt/Kittl: ‚Das kann ich auch!’ erinnert. Ich schrieb damals einen Kommentar dazu, aus dem ich hier zitieren möchte:

„Gebrauchsanweisung für moderne Kunst. Warum ist moderne Kunst so schwer zu verstehen? Wer bestimmt eigentlich, was Kunst ist? Warum hört sich das Gerede über Kunst immer so geschwollen an? Was passiert hinter den Hochglanzkulissen des Kunstbetriebs?

Endlich! Die schonungslose Wahrheit über Kunst, Klüngel und Kommerz - jenseits der üblichen Jubelarien notorischer Kunstpädagogen und rasender Kunstmarktreporter. Gewinnen Sie einen Überblick über die wichtigsten Tendenzen und Gattungen der Gegenwartskunst und werfen Sie einen respektlosen Blick auf die Kunstszene.

Für alle, die zeitgenössische Kunst immer wieder auf die Palme bringt, die aber keine Lust haben, als frustrierter Kunsthasser kampflos das Feld zu räumen.“

Diese markigen Worte auf der Buchrückseite wecken große Erwartungen. Meine Frage beim Lesen sollte nun sein: Schaffen die Autoren neue Antworten, oder käuen sie nur wieder, was bereits hunderte Male gesagt und geschrieben worden ist?

*

Was die Autoren m. E. schaffen: den Menschen, die (selbstverständlich falsche) Ehrfurcht vor dem Thema haben, diese nehmen.

Was die Autoren in meinen Augen nicht schaffen: erklären, wie, auf welche Weise die Menschen, die nicht wissen, welche Kunst die Auseinandersetzung lohnt, die sich das aber so fragen, auswählen „sollen“. Ich finde das Buch nicht leicht zu lesen bzw. zu verstehen, weil mir nicht klar wird, was oder wohin die Autoren eigentlich wollen.

[…]Die Autoren schwanken zwischen der Akzeptanz der Moderne mit ihren ihr eigenen Kriterien und der - zumindest scheinbaren - Ablehnung gewisser Kunst, später noch sichtbarer in der ironischen Beispielschilderung von Personen der Kunstwelt und/oder ihrer Herangehensweise.

Vieles wird als gegebene, unstrittige Voraussetzung präsentiert, und vermutlich sind viele zeitgenössische Künstler betroffen, aber das ist in einem Genre mittlerweile quasi ohne Definitionen logisch, unvermeidbar und beweist nicht, dass es nicht (viele!) andere gibt.

Bisher bedienen die Autoren noch genau die Klischees, die „Kunst“ für das durchschnittliche Nicht-Fachpublikum bedeuten und lassen m. E. vermissen, immer auch die andere Seite, die „ehrlichen“ Herangehensweisen sozusagen, zumindest zu erwähnen.

Mit der Kenntnis des Schlusskapitels könnte man das nun für einen rhetorischen Kniff halten, dem Leser, dem man von seiner Kunst-Einstellung her bereits „in der Tasche“ hat, seine eigenen möglichen Worte vorzutragen, um ihm dann am Ende, mit der auf einmal doch gebotenen „Großzügigkeit“, sein Kleindenkertum vor Augen zu halten... dieses wäre ein richtiger Paukenschlag, ein Knall, mit dem dann nicht unbedingt zu rechnen gewesen wäre.

Was aber, wenn genau diese Menschen, an die das Buch sich offensichtlich richtet, nicht bis zum Ende „durchhalten“? Sicher sind sie eingangs auch schon ein bisschen „enttäuscht“ worden durch sehr liberale Worte; ich würde sagen: angetäuscht, aber die Kunstmuffeligen unter ihnen sehen sich auch genauso sicher ständig bestätigt, denke ich.

Zurück zur „FAQ“-Führung, die sich „als ein performativer Akt, in welchem Produktion, Präsentation und Rezeption als Grundparameter der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Kunst bewusster gemacht werden“ sollen, versteht. „Dabei wird deutlich, welche Möglichkeiten und Grenzen das Sprechen über Kunst für deren Verständnis und Bedeutung haben kann und wie durch den Dialog Gedanken angeregt und geklärt werden.“

Das ist mir viel zu allgemein. Ich möchte, im Gegensatz zur „gesellschaftlichen Wirksamkeit“, die individuelle Wirksamkeit noch einmal deutlich herausstellen. Daher rühren die Grenzen beim Sprechen, und zwar egal bei welchem Thema! Erst müsste man die persönlichen Definitionen klären, wenn man keinen Dachbegriff hat, den alle gleich verstehen. Es ist utopisch, so Verständnis füreinander erringen zu können. Man kann nur immer wieder eine ungefähre Annäherung anstreben. Das bezieht sich auf das abstrakte Sprechen über „Kunst“.

Bezüglich des Sprechens über eine konkrete kreative Arbeit wird im Begrüßungstext zur Führung so formuliert, dass u. a. die vielen gleichzeitigen Eindrücke beim Betrachten und die Angst, etwas „Falsches“ zu sagen oder zu fragen dieses schwer machen, doch wer verlangt eigentlich eine sofortige oder überhaupt eine Äußerung? Ich würde das nicht verlangen, weder von mir als Betrachter noch von anderen Betrachtern noch als kreativ arbeitender (und auch ausstellender) Mensch. Eine gefühlt erzwungene, und dann auch noch verbale Reaktion? Ich fühle mich erinnert an die Bitte, etwas in einem Gästebuch zu hinterlassen, wenn der Gebetene das nicht freiwillig und gern tut… im Kopf wird krampfhaft nach etwas Geistreichem gesucht, dabei würde es reichen plus auch noch sehr sinnvoll sein, bei sich zu bleiben. Es geht ja nicht um das Gästebuch; es geht um den Inhalt der Veranstaltung, bei der es ausliegt. Wenn sich da nichts zu sagen schier aufdrängt, aus Begeisterung, aus Empörung, aus welcher Emotion auch immer, dann darf man es auch lassen. Dann sollte man es lassen. Bei der Kunstbetrachtung sollte es nicht darum gehen, dabei etwas sagen zu können, sondern darum, eine eventuelle Wirkung auf sich zu ermöglichen durch einen freien und offenen Blick, der kein wie auch immer formuliertes „Ergebnis“ haben muss. Wozu soll der Druck eines solchen „Ergebnisses“ gut sein?

Daher spricht mir der Begrüßungstext an dieser Stelle aus der Seele und ich beginne mich zu fragen, wann das im-Kreis-Drehen enden soll:

„…, wenn wir gemeinsam unsere individuellen Kunstbegriffe unter die Lupe nehmen. Durch einen unbeschwerten und unvoreingenommenen Blick auf die Gegenwartskunst können Sie entdecken, dass jede Arbeit und jede künstlerische Idee Sie zur Beschäftigung mit Ihrem Kunstbegriff geradezu auffordert. Wenn Sie sich auf diese Herausforderung einlassen, geht es letztlich nicht darum, herauszufinden, was der Künstler wollte, sondern darum, wie Sie am besten Ihre eigenen Erfahrungen mit Kunst machen und Ihren Standpunkt finden können.“

Sehr verbindend, sehr versöhnlich, sehr persönlich. Aber bereits im nächsten Absatz wird wieder getrennt:

„Gerade bei subvision ist eine intensive Beschäftigung mit dem Kunstbegriff erforderlich, da dort – jenseits etablierter Positionen und kommerzieller Motivationen – ein Forschungsraum für neue Ausstellungs- und Vermittlungsformate geschaffen wird. Dabei werden auch herkömmliche Kunstbegriffe in Frage gestellt, deren Untersuchung wir gemeinsam unternehmen wollen. Entspricht es eigentlich Ihren Erwartungen, hier in der Ausstellung mit sehr ungewohnten Kunstvorstellungen konfrontiert zu werden? […] Was immer Sie hier erwarten mögen, sicher wird man unterstellen dürfen, dass Sie auf jeden Fall glauben, es hier mit Kunst zu tun zu bekommen.“

An dieser Stelle hätte ich permanent mit dem Kopf geschüttelt und gehofft, dem Sprecher fällt das auf und er bittet mich zu Wort, oder ich hätte schreien müssen oder in etwas beißen... Ich hätte zurück gefragt: Warum glauben Sie, dass das, was Sie mir anbieten, eine „ungewohnte Kunstvorstellung“ ist? Es ist eine mehr, nichts weiter. Wenn man es so „unbeschwert und unvoreingenommen“ betrachtet, wie Sie es eingangs vorgeschlagen haben und ich es unterstütze, dann stellen sich keine trennenden Fragen mehr, dann trenne ich aber auch nicht mehr zwischen etablierter Kunst und Off-Kunst, weil es bei dieser Trennung um Systeme geht, um Politik, nicht um die Arbeiten, die sich in den einzelnen Systemen befinden. Und wenn ich mich weiter hineinsteigern würde, würde ich eventuell noch sagen: Ich möchte nicht instrumentalisiert werden! Entscheiden Sie sich, ob Sie Kunst als Dachbegriff benutzen möchten oder doch nur Ihre Definition, Ihre Gesinnung bewerben wollen!

Ich suche immer noch den kleinsten gemeinsamen Nenner, das, was als Grundimpuls die Menschen verbindet, die sich im weitesten Sinne mit „Kunst“ (als Dachbegriff, der alles umfasst, von der Höhlenmalerei über Kreativ-Hobby-Märkte bis zur Museumskunst und darüber hinaus) beschäftigen, und einen Namen dafür.

Es geht weiter mit der Führung:

„Um die Selbstverständlichkeit zu hinterfragen, dass alles, was es in Kunstausstellungen zu sehen gibt, automatisch für Kunst zu halten sei, begibt sich die Gruppe nun zu einer möglichst ‚unkünstlerisch’ aussehenden Arbeit. Diese wird vorab danach ausgewählt, dass sie auf den ersten Blick, zum Beispiel aufgrund ihrer hochgradigen Unbestimmtheit, zur Überprüfung der Klassifizierung als Kunst auffordert.“

Meine Gedanken überschlagen sich: Derjenige, der das „unkünstlerisch“ aussehende Werk ausgesucht hat, hat nach seiner Definition etwas ausgewählt. Schon diese Wahl ist nicht, kann nicht objektiv sein. Was soll bei dieser Voraussetzung das Ergebnis sein? Was ist ein „unkünstlerisch“ aussehendes Werk?

Nur, wenn man Kunst als Qualitätssiegel benutzt, kann man überhaupt so an eine Fragestellung herangehen, die durch den Markt, durch den Betrieb um die Kunst (als Dachbegriff!) erst aufgeworfen wird. Ich würde mir eine Führung wünschen, die das „unkünstlerisch“ aussehende Werk neben ein „sehr künstlerisch“ aussehendes stellt und die grundsätzliche Gleichheit zwischen beiden aufzeigt. Aufzeigt, dass es weder um „Schönheit“ geht noch darum, etwas „auch zu können“, sondern um die Gedanken gerade dieses Kreativen, dessen Arbeit man gerade ansieht und um den Austausch mit dem, was es mit mir, dem Schauenden, vielleicht zu tun hat oder auch nicht. Und wenn man etwas „auch kann“: machen! Nur so wird die Überhöhung von Kunst als etwas, das nur für eine Elite ist, die es nur versteht und daher nur „darf“, langsam aufgelöst.

Weiter: wenn es eine „Überprüfung der Klassifizierung als Kunst“ gäbe, gäbe es keinen Streit mehr, den es ja auch unter Experten, und das nicht selten, gibt. Das, was zwischendurch immer mal wieder als Lösung angeboten wird: dass die Betrachter künstlerischer Arbeiten auf sich selbst zurückgeworfen werden, übrigens – ich verrate es jetzt an dieser Stelle schon einmal – auch hier, bei dieser Kunstführung, wird von manchen Vertretern des Kunstmarkts im selben Atemzug gleich wieder zurück genommen: nein, so wäre es ja nun auch nicht gemeint… wo kämen wir hin, wenn jeder… auch der, der es nicht „versteht“ (die Anführungszeichen sind von mir)………..

Es ist eine Farce.

„Wir wissen jetzt also, welche Umstände dazu führen, dass wir Dinge erst einmal als Kunst betrachten; als etwas anderes scheinen sie nämlich wenig oder keinen Sinn zu machen. Aber unabhängig davon besteht die Problematik darin, dass uns auch die ‚Arbeitshypothese Kunst’ noch längst nicht garantiert, dass dem Einzelnen die Auseinandersetzung mit einer Arbeit tatsächlich etwas bringt und er nicht nur passiv ihren Kunstwert bewundert.“

Wer ist „wir“? Es wird auch über Dinge als „Kunst“ gestritten, die in einem anderen Zusammenhang keinen Sinn machen, wenn Kunst als Qualitätssiegel verstanden und gebraucht wird. Wieso „Problematik“? Wie wäre es, das als Individualität statt als Problem zu begreifen; dann nämlich dürfte alles sein. Warum wird durch die Art der Fragestellung die Erwartung geweckt, dass es eine „Garantie“ geben könnte, und dass es ein Widerspruch sei: entweder, es „bringt“ etwas, oder man bleibt passiv…?

Ich werde wieder an Saehrendt/Kittl erinnert und meinen Kommentar zu ihrem Buch ‚Das kann ich auch!’:

Mit der Kenntnis des Schlusskapitels könnte man das nun für einen rhetorischen Kniff halten, dem Leser, dem man von seiner Kunst-Einstellung her bereits „in der Tasche“ hat, seine eigenen möglichen Worte vorzutragen, um ihm dann am Ende, mit der auf einmal doch gebotenen „Großzügigkeit“, sein Kleindenkertum vor Augen zu halten...

Das Problem mit rhetorischen Fragen ist aber, dass sie nur wirken, wie sie sollen, solange man sich der Rhetorik bewusst ist. Wenn man es auch für bare Münze nehmen kann – und dafür hat in diesem Zusammenhang der Kunstmarkt aus von seiner Warte sehr guten Gründen selbst gesorgt – sollte man vorsichtiger sein…

„Auch bei Buren [französischer Künstler] taucht die Frage auf, wo und wie Kunst als solche wahrgenommen wird […]“

Egal, wie diese Frage beantwortet würde: warum muss Kunst – mit diesem Etikett – „als solche wahrgenommen“ werden? Doch nur wegen des Betriebs um sie! Warum sollte man Menschenkinder nicht zu einem „künstlerischen Blick“ erziehen, jenseits eines Begriffes wie „reines Sehen“, das es ja objektiv gar nicht geben kann! Wieso nicht einfach den Blick eines Jeden erweitern auf andere Sicht- und Herangehensweisen? Wieso nicht einfach einen toleranten Blick üben und alles an Ausdruck erlauben?

Die Antwort auf alle diese Fragen: weil es einen Markt gibt. Es geht nicht darum, was das Beste für die Menschen wäre; es geht um Geld, und daher um Definitionsgewalt.

„Andererseits eröffnet gerade die Möglichkeit, die Exponate nur hypothetisch als Kunst anzuschauen, eine neue Freiheit, die es erlaubt, die Arbeiten entlastet von der Kunstfrage nach eigenen Interessen zu befragen.

Ach, wäre es doch so! Gäbe es sie doch, diese „Freiheit“! Die Herangehensweise, etwas „nur hypothetisch als Kunst anzuschauen“, aber das sozusagen doch nicht „ernst zu meinen“ (weil das Etikett eben schon dran hängt), führt so nicht zu einer „neuen Freiheit“. Ich bin dafür, nicht das einmal vergebene Etikett pseudomäßig zu überdecken, sondern erst gar keins dranzuhängen – das wäre Freiheit!

Weiter im Text zur Führung wird dann behauptet: „Über Kunst lässt sich also wunderbar sprechen, solange nicht versucht wird, die ästhetische Erfahrung selbst mit Worten zu fassen, sondern sie im o. gen. Sinn als Vermittlerin zu begreifen.“

Worüber streiten die Leute dann? Ich denke, es ist so ähnlich wie bei Religionsfragen. Eigentlich geht es um den individuellen Glauben der Menschen, der an sich völlig unstrittig sein müsste. Es geht aber schief, wenn einer diesen einem Zweiten, einer Gruppe oder der ganzen Menschheit überstülpen möchte. So ist es auch bei der Kunst (als Dachbegriff). Das, worüber man tatsächlich „wunderbar sprechen“ kann, ist das, was ich als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ bezeichne. Ich glaube, dass das der Impuls des Menschen ist, sich auszudrücken. Den kann man vielleicht erweitern und verfeinern, aber begradigen, kanalisieren, dass er in berechenbaren Bahnen verläuft, nur mit Mühe. Und diese Anstrengung ist nicht sinnvoll, weil sie ein um-Denken, ein neu-Denken verhindert statt fördert. Kunstgeschichte zeigt, dass man alles nur rückwärts interpretieren kann und so tatsächlich einen „roten Faden“ sieht. Wie viel an Beeinflussung auch da war, was nicht mit dem Namensschild irgendeines Kreativen versehen, sondern vielleicht sogar konkret einem anderen Namen zugeordnet ist, wie viel ungesehen und vor allem undokumentiert blieb und bleibt – der Kunstkanon zeigt nur das „Offizielle“ der jeweiligen Epoche, das, was die Machthaber der Märkte dieser Epoche offiziell zugedenken. Wie viel gelebtes Leben, wie viel gelebte Kunst (als Dachbegriff) fällt jedes Jahrhundert, jedes Jahrzehnt, jedes Jahr, jeden Tag hintenüber, weil sich Menschen damit befassen, die nicht im „Kunst“-Zusammenhang wahrgenommen werden!

Weiter mit der Führung: „Auch der Vermittler selbst spricht in Fragen, vermeidet Urteile und Interpretationen und lenkt die Konzentration auf die Suche nach der Relevanz der künstlerischen Prozesse. Die Suche nach Antworten wird in den Hintergrund gestellt. Als Moderator gibt der Vermittler immer wieder Anstöße, die das Ideenspektrum erweitern und das Gespräch temporeich nach vorne treiben. Die Pointe der Befragungsaktion, dass es keine „Masterfrage“/“Masterantwort“ als Zugangsschlüssel zu einer Arbeit gibt, sollte stets deutlich werden.

Den Fettdruck steuere ich gerne bei. Wenn es doch so ist, so einfach, schlüssig, klar und für mich und einige andere noch nicht mal eine Pointe, sondern schon immer gelebte Betrachtung: wie kann man wenige Worte zuvor eine etwaige Suche als „die Suche nach der Relevanz der künstlerischen Prozesse“ nennen? Das unterstellt doch auch Irrelevanz in ihren Abstufungen, und dieses Urteil würde bedeuten, dass es Fragen gäbe, die Relevanz zum Vorschein brächten, und das für alle gleich sichtbar, oder Irrelevanz entlarven könnten, ebenfalls für alle gleich nachvollziehbar. Und genau diesen Zugangsschlüssel gibt es nicht, wie wenige Worte danach zugegeben wird!

Die vielen Fragen, die danach beispielhaft gestellt werden, kann man sich fragen, oder aber auch nicht; z. B. „Inwieweit gibt es hier etwas Neues zu sehen?“ Diese Frage würde ich so allgemein nie stellen, denn es gibt nichts objektiv „Neues“! Allerdings kann die Sache für den Betrachter durchaus neu sein, und dann würde er das auch ohne eine bewusste Frage aufnehmen, da bin ich sicher. Das eventuelle neu-Denken käme automatisch, wenn er „wach“ und aufnahmebereit ist und – ganz wichtig und ganz persönlich – etwas in sich sucht, das mit dem Kunstwerk korrespondiert. So lautet denn auch die letzte Beispielfrage: „Was interessiert MICH wirklich?“, was den Rezipienten eben auf sich zurückwirft. Letztendlich ist der Betrachter immer auf sich zurückgeworfen, und da wir alle Individuen sind und keiner wie der andere ist, ist so eine gruppenhaft Herangehensweise in meinen Augen ungeeignet, etwas „herauszufinden“.

Im Abschluss – bei der Führung genannt „Wie geht es jetzt weiter? Oder: Zwischen Sprachlosigkeit und Geschwätz“ – wird zwar ganz am Ende sehr richtig gesagt: „Also ist hier wohl die Auseinandersetzung, das Fragen selbst – und nicht die Antwort – als unser eigentliches Ziel und als der Sinn von Kunst zu betrachten. Ob etwas tatsächlich Kunst ist oder wodurch es zur Kunst wird ist also eine Frage von relativer Bedeutung. Der eigentliche Motor der Auseinandersetzung besteht vielmehr in dem, was einen selbst an einer Sache und ihren Umständen interessiert.“

Warum muss dann ein paar Sätze vorher der so „Geführte“ so etwas hören: „Mit dem Sprechen über Kunst verhält es sich wie mit dem Sprechen über alle anderen Belange und Beziehungen im Leben. Man muss nicht über alles sprechen – manche Dinge werden auch „totgeredet“ oder durch floskelhafte Plattitüden zur Belanglosigkeit abgewertet – dadurch wurde noch nie etwas gewonnen. Und manchmal tut es einem Diskurs auch gut […], sich zurück zu halten.“

Der auf der einen Seite durch die Führung Gestärkte wird gleich wieder geschwächt: ‚Vielleicht ist es ja doch klüger, jetzt zu schweigen’, vielleicht auch innerlich zu schweigen. Ein freier innerer Dialog, geschweige denn ein Austausch mit Mitmenschen, wird anscheinend nur geduldet, wenn das, was das Gegenüber austauschen mag, die Gnade des Hörenden findet – und letztendlich doch nur seinen (des Hörenden) Definitionen genügt.

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